Montag, 14. Januar 2013

BuchTIPP | Alice Miller - Das Drama des begabten Kindes


KUNST training | coaching | therapie SPIEL


BuchTIPP
Alice Miller - Das Drama des begabten Kindes
und die Suche nach dem wahren Selbst (edition suhrkamp 1979/ Neufassung 1994)





"Wenn ich alle die Gefühle und ihren qualvollen Widerstreit auf ein Grundgefühl zurückführen und mit einem einzigen Namen bezeichnen sollte, so wüßte ich kein anderes Wort als: Angst. Angst war es, Angst und Unsicherheit, was ich in allen jenen Stunden des gestörten Kinderglücks empfand: Angst vor Strafe, Angst vor dem eigenen Gewissen, Angst vor Regungen meiner Seele, die ich als verboten und verbrecherisch empfand"
 Hermann Hesse


WARNUNG!
"Wer sich nicht scheut, wachgerüttelt zu werden, wird an diesem Meilenstein nicht unbeteiligt 
vorbeigehen können."
Luzerner Neueste Nachrichten  


Mein persönlicher Fokus | Neid
Da mich das Thema Neid - Lebensneid - Konkurrenz schon lange beschäftigt, möchte ich hier das mir sehr wertvoll und wesentlich gewordene Buch "Das Drama des begabten Kindes" von Alice Miller vorstellen. Mir hat es bereits dabei geholfen, in der Tiefe das Phänomen des Selbstverlustes und des folgenden Neides besser begreifen zu können. Ebenso bin ich von der Wahrheit der Worte tief berührt, ob der Aufarbeitung meiner Geschichte und der meiner Mitmenschen. Ich werde dieses Buch sicher noch öfters lesen und empfehle es jeder/m, die/der den Mut hat, sich der eigenen wahren Geschichte und damit der eigenen Authentizität (dem wahren Selbst) stellen zu wollen...

 Die Rechte der Kinder
Um Neid geht es in diesem Buch nicht in erster Linie, doch es erklärt ihn auf eine besondere und verständliche Weise. Alice Miller setzte sich ihr Leben lang für die Rechte der Kinder ein, und beschrieb in zahlreichen Büchern, wieviel Leid Kindern von ihren Bezugspersonen zugefügt wurde, ohne dass diese adäquat zur Rechenschaft gezogen wurden und heute noch werden. 


 Alice Miller mit ihrer Kunst im Hintergrund

Vielmehr im Gegenteil wurde das Kind und sein Verhalten durch die v.a. Freudsche Psychoanalyse überstark sexualisiert, und die Eltern durch die Triebtheorien von ihrer Verantwortung dem Kind gegenüber nahezu freigesprochen. Ebenso prangert Alice Miller die weiterhin fortbestehende Idealisierung der Mutterliebe an, die scheinbar alle "Entmystifizierungstendenzen unserer Zeit" überdauert hat.


 Ursprünge des Selbstverlustes beim Kinde
Alice Miller beschreibt, inwieweit Kinder von ihren oftmals emotional sehr bedürftigen und unsicheren Müttern für ihre Zwecke unbewusst "mißbraucht" werden. Die bedürftigen Mütter, selbst ihrer bedürftigen Mutter entronnen und einst als Kind "verfügbar", sehen in ihrem Kind endlich ein Wesen, dass von ihnen vollständig abhängig ist und dass sie nach ihren Vorstellungen "formen" und "erziehen" können. So kann sie sich die langersehnte Rücksicht und v.a. Respekt verschaffen. Miller schreibt, dass die Mutter ihr Kind "narzißtisch besetzt". 
Sie wollen es evtl. besser machen, wie noch ihre Mütter und auch Großmütter vor ihnen, wollen ihr Bestes geben, was jedoch nur allzu häufig dann doch dem altbekannten Muster entspricht, welches sie in frühester Kindheit gelernt haben. Das Muster wird - wenn es unaufgearbeitet bestehen bleibt - einfach wiederholt. So kann es von Generation zu Generation weiter bestehen bleiben, ohne dass eine Veränderung der Situation eintreten kann.  Ebenso verhält es sich mit Erinnerungen an die früheste Zeit im eigenen Körper, welcher alle Erfahrungen der Vergangenheit in sich aufgenommen hat, welche sich später als Somatisierungen jeder Form und Härte zeigen können (siehe dazu Alice Miller: Die Revolte des Körpers, 2004; http://www.alice-miller.com/bucher_de.php?page=11)

 Dieses Buch betrifft jede/n
Dieses Thema betrifft wahrscheinlich mehr Menschen, als der leicht abschreckende Begriff der narzißtischen Persönlichkeit und Narzißmus im Allgemeinen vielleicht den Anschein hat. Im Kern mag es vielleicht sogar jeden treffen und berühren, denn was es in diesem Buch zu Lesen gibt, ist menschlich und handelt von Grundbedürfnissen und Gefühlen wie u.a. der großen Angst, nicht mehr geliebt zu werden, wenn wir nicht dem entsprechen, was von uns verlangt wird (Angst vor Liebesverlust). 


"Im Grunde war die nach außen so gut funktionierende Mutter beim eigenen Kind selbst ein Kind geblieben." (Miller, S. 66)



Das Kind wiederum - vollständig abhängig von der Mutter - richtet seine narzißtischen Bedürfnisse an sie, die jedoch nicht gehört und gesehen werden können, da die Mutter ausschließlich mit sich und ihren eigenen Bedürfnissen v.a. nach einer Spiegelung beschäftigt ist. Es erfährt von der Mutter daher keine Spiegelfunktion, um ein wirkliches Selbst entwickeln zu können. 

"Es selbst bleibt ohne Spiegel und wird in seinem ganzen späteren Leben vergeblich diesen Spiegel suchen" (Miller, S. 60)

  Sehr bald steckt es seine eigenen grundsätzlich narzißtisch-symbiotischen Bedürfnisse, v.a. aber die eigene lebendige Gefühlswelt zurück und entwickelt sie so nicht mehr weiter. Besonders emotional begabte Kinder sind die Leidtragenden in diesem Beziehungs-Drama. Es richtet sich nach der Mutter aus, wandelt sich so, wie es von der Mutter gerne gesehen wird. Es entwickelt eine, nach Miller, "Als-ob-Persönlichkeit", die nicht dem eigenen Selbst, aber einem "Ich" entspricht, das der Mutter gefällt und die Mutter "spiegelt" - nicht aber das Kind in seinem besonderen So-Sein. Ein konstruiertes Ich entsteht, ausgerichtet an dem, was es als liebenswert erkennen kann.

 Depression versus Grandiosität
Das führt beim Älter-Werden dazu, dass das Subjekt die eigene gefühlvolle Seelenwelt und damit seine Lebendigkeit nicht leben kann. Da es "begabt" d.h. sensibel und einfühlsam ist, hat es über die Zeit seine v.a. kongitiven Fähigkeiten aber auch andere vielfältige Talente, sich gesellschaftlich in ein gutes Licht zu stellen, hervorragend entwickelt, so dass es gut an das Leben angepasst sein kann. Leider ist es aber so, dass durch die Nicht-Entwicklung des Selbst auf der einen Seite eine große Leere empfunden wird, die sich in Depression zeigen kann und auf der anderen Seite eine Art illusionäre Grandiosität durch die eigenen vorzeigbaren Talente entwickelt wird, die es über alle dunkleren Momente des Lebens mit besonderer Brillianz "erhebt". Der "Absturz" nach den grandiosen Phasen ist umso tragischer, da sich schnell wieder die abgewehrte Leere zeigen kann. Ein circulus vitiosus entsteht.

"Gehört nicht die Mutterliebe zu den 'geringsten' aber auch unentbehrlichsten Dingen im Leben, die viele Menschen - paradoxerweise - mit dem Verzicht auf ihre Lebendigkeit bezahlen müssen?" (Miller, S. 53)

Die unbewusste Re-Inszenierung des eigenen Selbstverlustes
Das frühe Drama des Selbstverlustes des nunmehr erwachsenen Kindes wird in seinem Leben in den verschiedensten Situationen unbewusst "re-inszeniert", so dass es immer wieder Versagungen und mißliche Lagen erfährt, die oftmals viel Leid auslösen, aber ohne Aufarbeitung der eigenen Geschichte sich nicht auflösen lassen und ein Leben lang fortbestehen können.   

"Im ganzen späteren Leben dieses Menschen werden von ihm unbewusst Situationen inszeniert, in denen diese damals nur im Ansatz vorhandenen Gefühle aufleben können, aber ohne dass der ursprüngliche Zusammenhang verständlich wird." (Miller, S. 26) 

Über Neid...
Neid ist ein wesentliches Symptom von mehreren Symptomen, die bei narzißtisch geprägten Persönlichkeiten oftmals und verstärkt auftreten. Es erklärt sich aus der schnell empfundenen Leere der Selbstlosigkeit, wenn das Subjekt mit jemandem konfrontiert wird, der sich etwas Lebendiges/ Authentisches bewahrt oder sich im Laufe seines Lebens erarbeitet hat. 


Alice Miller | Kunst


Dazu Alice Miller, S. 78 f.:  

Grandiosität versus Depression = inneres Gefängnis
Der Grandiose: empfindet sich als das gelungene Kind der Mutter (der Held-Typ)
Der Depressive: empfindet sich als das mißlungene Kinder Mutter (der Versager-Typ)

Gemeinsamkeiten:

1. ein falsches Selbst (Winnicott)/ Als-ob-Persönlichkeit (Miller) - hat zum "Verlust" des   
 möglichen Selbst geführt
2. Brüchigkeit der Selbstachtung (keine Sicherheit über das eigene Fühlen/ Wollen)
3. hohes "Ich-Ideal", daraus folgend übermäßiger Perfektionismus
4. Verleugnung der verachteten Gefühle (der fehlende Schatten im Spiegelbild)
5. Überwiegen von narzißtischen Objektbesetzungen
6. große Angst vor Liebesverlust/ große Anpassungsbereitschaft
7. Neid (auf die Gesunden)
8. starke (abgespaltene), nicht neutralisierte Aggressionen
9. Anfälligkeit für Kränkungen
10. Anfälligkeit für Scham- und Schuldgefühle
11. Ruhelosigkeit

Was eine Aufarbeitung der eigenen wahren Kindheitsgeschichte bewirken kann...
Die Befreiung von der Depression und damit von dem eigenen Selbstverlust bewirkt, nach Miller, nicht eine fortwährende Fröhlichkeit oder eine andauernde Abwesenheit von Leiden, sondern vielmehr die Möglichkeit, spontan auftretende Gefühle authentisch und lebendig leben und integrieren zu können. Sie offenbaren, nach Miller, die ganze Skala des Menschlichen, und schließen auch Gefühle/ Affekte wie Neid, Eifersucht, Wut, Empörung, Habgier, Verzweiflung und Trauer mit ein.  

"Die Fähigkeit zu trauern, d.h. auf die Illusion über die eigene 'glückliche' Kindheit zu verzichten, gibt dem Depressiven seine Lebendigkeit und Kreativität wieder und kann den Grandiosen [...] von den Anstrengungen und der Abhängigkeit seiner Sisyphos-Arbeit befreien" (Miller, S. 94). 

Die unbewussten unaufgearbeiteten Inhalte bleiben unverändert und damit zeitlos bestehen - der Schlüssel zur Veränderung liegt im Bewusstwerden der eigenen Wahrheit... 

"Das Paradies der präambivalenten Harmonie, auf das so viele Patienten hoffen, läßt sich nie erreichen. Aber das Erleben der eigenen Wahrheit und das postambivalente Wissen um sie, ermöglicht, auf einer erwachsenen Stufe, die Rückkehr zur eigenen Gefühlswelt - ohne Paradies, aber mit der Fähigkeit, zu trauern." (Miller, S. 32) 

Alice Miller | Kunst


Über Alice Miller | Klappentext Buch
A.M. studierte in Basel Philosophie, Psychologie und Soziologie. 20 Jahre lang arbeitete sie als Psychoanalytikerin, bevor sie sich 1980 entschloß, ihre Praxis und Lehrtätigkeit aufzugeben, um über die Ergebnisse ihrer Kindheitsforschungen zu schreiben. Sie starb am 14. April 2010 im Alter von 87 Jahren. 


Weiterführender Link:  | Alice Miller website
 http://www.alice-miller.com/index_de.php


Begriffe im Buch: 
+++ Selbstverlust + Selbstfindung + Depression + Grandiosität + gesunder Narzißmus + die narzißtische Störung + Analyse + Abwehrmechanismen + Neid + narzißtische Besetzung + Anpassung des Säuglings + Reinszenierungen + Verfügbarkeit des Kindes + falsches Selbst (Winnicott) + Als-ob-Persönlichkeit (Miller) + partielle Tötung von Möglichkeiten/ Lebendigkeit + Permanenz der Bindung + trial & error + Angst vor Liebesentzug + wahres Selbst + Übertragung + Verwahrlosung + Annahme der eigenen Wahrheit + Trauer über das Vermißte + Ichideal + Narzissos + Depression und psychosomatische Leiden + Freiheit/ Lebendigkeit + introjizierte unbewusste Verachtung + ödipale Gefühle + Demütigung + narzißtische Wunde + Wiederholungszwang + Zwangsneurose + Perversion + Regression + Das Verdorbene/ das Böse/ Grausamkeit + Hörigkeit + Kreativität + Trauerarbeit + Vergeltungswünsche etc.pp +++ 
 



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