Sonntag, 4. Dezember 2016

Von Inseln des Glücks und verrückten Eiern | Kunsttherapie mit Modelliermasse


Von Inseln des Glücks und verrückten Eiern | Kunsttherapie mit Modelliermasse

Meditatives Werken als Revitalisierungsprozess
mit Patienten im Rahmen von Palliative Care
 
In der letzten Zeit hatte ich zweimal das Vergnügen, mit zwei ganz unterschiedlichen Menschen in einer Fachklinik etwas Formen zu dürfen.
Das knetbare Medium Modelliermasse (Efaplast, Plastiform etc.) ist dafür sehr geeignet - es geht schnell und ist leicht zu handhaben, es trocknet an der Luft (ohne Ofen, wie bei Ton/ Keramik), und man kann es leicht mit Lack, Farben (z.B. Acryl) etc. weiterverarbeiten. 


* Er nannte es "Das verrückte Ei" und lächelte *

Dieser Mensch begegnete mir als fokusiert auf Verstand und Denken, einstigen hochausgebildeten geistigen Fähigkeiten (als Chirurg und Wissenschaftler mit vielfältigen Interessensgebieten), und gerade deswegen irritiert und auch resigniert darüber, dass er zunehmend unter kognitiven Einschränkungen wie Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen und auch Hör-Abrissen zu leiden habe. Musik/ Klang wollte er deswegen keine hören - er fürchtete, nur immer ein Stück zu hören, nicht das Stück im Ganzen.

Eigentlich hätte ich mit ihm auch gerne einfach Biographierabeit gemacht - mich auf Reisen mitnehmen lassen, wohin es ihn zieht (technoid-humanoide Welten - Mensch-Maschine-Kosmos, Weltall etc.pp.) , denn meiner Erfahrung nach, läßt das alte gelebte Begeisterung aufflackern, und die Worte und Gedanken, auch und gerade komplexe Erinnerungen, in all ihrer guten Emotionalität, vitalisieren mein Gegenüber. Und auch mich. Ich bin da ehrlich.

Bei diesem Menschen hatte ich dennoch den Mut, mal etwas ganz Anderes auszuprobieren - als jemanden, der mich durch seinen speziellen Humor und seine menschliche Großzügigkeit einlud, mich mit ihm auf eine ganz eigensinnige Reise einzulassen.

Er willigte ein. Das Argument: Kneten, mit linker und rechter Hand aktiviere' beide Gehirnhälften (und sicher vieles mehr), und wir lassen völlig offen, ob was dabei herauskommt. Es darf auch einfach nichts außer Kneten herauskommen. Oder was ganz Abstraktes - bei ihm traute ich mich, dies ihm vorzuschlagen.

Ich stellte ihm die Methode und das Setting vor. Und von seiner Seite aus kamen so viele tolle Fragen, und ich konnte so gut wie keine wirklich toll beantworten. Z.B., wie ein getrocknetes Werk am Boden zerspringt...was besonders ihn und seine individuelle Art beschreibt, fragend und staunend in der Welt zu sein. Mir fiel allerdings mein mitgebrachtes Werk an einem Punkt vom Podest herunter, und es sprang nur ein Teilchen davon ab. Somit konnte ich seine Frage, zu einem späteren Zeitpunkt, mit ihm zusammen beantworten.

Ich stellte also mein kleines fertiges Modelliermasse-Werk (Lack-verfeinert) auf ein hölzernes Podest.
Und er sah auf einmal so viele Dinge darin - je nach Perspektive - ein archaisches Stiergehörn oder auch - und hier kam der Chirurg durch - eine besondere Funktion im menschlichen Knie.
Immer mehr kam da. Wir hätten damit auch weiterspielen können, und es hätte gereicht.
Irgendwie war er schon davon begeistert, und er fragte mich, was ich studiert hätte, um ihn dahin führen zu können. Ich beschrieb meine Begeisterung für die Kunstgeschichte - den Umgang mit neuer und auch alter Kunst, die Perspektiven, die man einnehmen kann, die Kunstvermittlung.

Zeit faszinierte ihn.
Zeit erinnerte ihn an Werke in seinem Keller -
von seinen Großeltern von Annodazumal, aus einer vergangenen Epoche und Kultur, wo Handwerk und auch der Wert der Dinge noch einen großen Stellenwert hatten.
Leider interessiere sich dafür heute kaum einer mehr.
Bei den Alten Meistern würde Zeit erfahrbar werden - sie sind heute noch da, und kommen aus einer vergangenen Zeit - mit ihnen kann man Zeit fühlen, das Heute und das Damals und die Zeit dazwischen.

Er knetete los. Fühlte die Masse. Mal links, mal rechts. Und wir redeten über Zeit in einem nahezu zeitlosen Moment, einem Flow. 
Irgendwann war ich so mutig zu sagen - "schauen Sie mal, was jetzt schon da ist!".
Er schaute. Und assoziierte und sah ein Rad. Eierig rund, ein wenig wie ein altes Holzrad - eines der ersten Räder. Die Idee kam, ein Loch durchzustechen, eine Felge durchzustecken - mehr Räder - ein Fahrzeug entstand in Gedanken.


 Radmodelle der Jungsteinzeit

Er hatte das Rad neu erfunden.
Ein schöner Moment, einfach und klar.
Er glättete es noch ein wenig mit Wasser.
Wir setzten es auf das hölzerne Podest.
Er nannte sein Werk "Das verrückte Ei", und musste lächeln. 

Er beschrieb seine Lust, noch so ein einfaches Werk als Pendant zu gestalten.
Zwei, die sich gegenüberstehen können.
Ich ließ ihm ein Stück Modeliermasse im Zimmer, und die wichtigsten Hilfsmittel.

Er beschrieb seine Freude. Mit solch' einem Moment hatte er nicht mehr gerechnet.
So pur wie Kinderlachen.

Als ich am MO anklopfe, erzählt er mir, dass seine Frau das Material für sich entdeckt hätte. Sie formte das Pendant - er ließ mich raten, was ich sehen würde: ich riet richtig - irgendwie ein Schuh, ein Damenschuh, aber vorne offen. Ein Schuh, der einfach sitzt und man sich frei fühlen kann, ohne Riehmen, Zungen, Schnüre.

Ich stelle den kleinen Freischuh auf ein kleineres Podest.
Wie ein Hochzeitsportrait mit jeweils einem Selbstportrait, wie auf Ölbildern Alter Meister - Das verrückte Ei und der Freie Damenschuh, der, wäre er größer, wie eine Rollbahn oder wie ein bettendes Gefäß für das Ei wirkt.






* Die Insel des Glücks - Ich rieche und schmecke das Meer *

Diesen Menschen hatte man mir schon als sehr beredt und vielseitig interessiert beschrieben. Doch was mich da erwartete, war noch viel feiner. Sie gab sich dem Formen durch Ton zu Keramik schon seit Jahren hin, und hatte bereits zahlreiche inspirierende Werke vorzuweisen. Einige hatte sie fotografiert, und konnte mir Handy-Bilder zeigen. Zudem war sie passionierte Lehrerin (Sport, Geographie), und konnte so wunderbar mitreißend von aller Herren Länder erzählen.

An diesem besonderen Tag sollte ich Zeit haben und die brauchten wir auch.
Die Physiotherapeutin und ich hatten uns bereits abgesprochen, wer wann bei ihr sein sollte, und auch, dass wir zusammen bei der Patientin sein konnten. Was uns allen, Patienten und Angehörigen, und auch uns als Team mehr als gut tut, sich als eine Gemeinschaft fühlen zu können. 

Sie wollte formen, hatte schon eine Idee.
Ich brachte als Anregung Bilder von Miniaturhauslandschaften einer englischen Künstlerin mit. 
Klang und sanfte Musik mit Wellenrauschen ihrer geliebten Ostsee schwangen uns ein. 
Kleine Häuser sollten es sein.
Sie formte, zeichnete ein, setzte an (was nicht immer hielt).
So entstanden drei unterschiedliche Häuser.


Wir unterhielten uns über die Ostsee, das Meer, Skandinavien.
Über die Welten und Länder, die sie gesehen hatte, brachte sie für sich und ihre Schüler Steine, Sand und manchmal Muscheln mit. Sie hatte schon so manchen Schüler begeistern können, in das Land zu gehen und dort tatsächlich zu leben, von dem sie im Unterricht geschwärmt hatte.

Irgendwie erinnerte mich das an die Dinge, die ich über die Jahre für die Kunsttherapie gesammelt hatte, ging los und brachte ihr Steine, Hölzer und Naturmaterialien wie Moos, Zweige und Nußschalen. Ich ließ sie weichen Ostseesand fühlen.


Ihr gefiel der Kontrast zwischen einem würfelförmigen Schwemmholzobjekt und den weißen Häusern.
Es entstand eine Insel-Landschaft aus den drei Häusern, einem Bäumchen, einem Stein, Moos und Zweigen.
Sie nannte es "Die Insel des Glücks".
Sie mochte auch die Idee, für das Gästebuch des Palliativbereiches einen Eintrag zu schreiben, in den ich die Bilder einpflegen durfte, die ich von unserem Setting gemacht hatte.

Zuletzt suchten wir gemeinsam einen fotogenen Ort, an dem die Insel gut bildnerisch zur Geltung kommen könne. Wir fanden ihn.
Die Sonne schien hell herein, und beleuchtete magisch den kleinen, zauberhaften Ort.

Da alles sehr fragil erschien, klebte ich im Nachhinein die kleinen Dinge an das Schwemmholz an, vorsichtig und mit Heißkleber.

Nun steht die "Insel des Glücks" froh in einem Aufenthaltsraum der Klinik, und läßt so manchen Betrachter staunen - irgendwie möchte man da leben, mit lieben Menschen - dort ist alles gut. 









Dank an die Menschen, die mich haben teilhaben lassen, an Ihrem Leben, ebenso an das Team der Fachklinik. Alleine und ohne gute Vorarbeit, könnte ich solch' leichte und beschwingte Momente nicht gestalten. Dank an das Web und das Fachgeschäft, in dem ich die Modelliermasse beziehe.

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