Freitag, 19. Oktober 2018

Neid als Geschenk | Über ein Tabugefühl


Neid als Geschenk 
Über ein Tabugefühl 

Entwicklungsstand: 21.10.2018
To be continued 




Schon länger lasse ich die Wahrheit an mich heran, dass es viele negative Affekte um mich herum und auch in mir gibt. Es hat im Moment sogar den Anschein, dass es derer mehr gibt. So als lägen diese Affekte direkt unter der Oberfläche. Besonders schön kann man das im Autoverkehr erleben, wie schnell es hier zu echten und v.a. unsachlichen Konfliktsituationen kommen kann. Dennoch will ich mich damit nicht abfinden: Welt kann auch anders sein! Und da ich das will und mir von Herzen wünsche, versuche ich auch Anderes. Es wird nicht immer schlimmer (Welt am Abgrund), sondern immer besser; zumindest in mir. Es beginnt bei mir und endet auch bei mir – und wenn ich mich ändere, wird sich auch Welt um mich herum ändern, zumindest in mir. Es geht hier um eine Haltung, womit ich mich verbinde, und was mir wichtig ist.  

Den Stein des Anstoßes, über Neid (als biologische Programmierung nach Virani/Dittmar und meint: Ursprung in Tiernatur; Aufgabe: Überleben zu sichern) tiefergehend zu forschen, gaben mir Gespräche mit einer Freundin, die einen sehr schönen und bunten Laden in einem Hipsterbezirk betreibt. Sie selbst ist sehr individuell und wunderschön, in ihrem Äußeren, auch und gerade als Mensch. Sie schilderte mir, dass sie auch zu neuen Ufern (einer neuen Haltung, neue Muster etc.) unterwegs ist: aber was ihr derzeit begegnet, ist nochmal geballt, das alte Muster vom Neid der Frauen (und wie sie es bedient). Es ist interessant,wie sie diese Phänomene schildert. Viele Damen kommen und wollen ganz ihre Aufmerksamkeit und Bestätigung, dass Farben und Formen richtig an ihnen sind. Manche haken ziemlich penetrant nach, dass sie auch ganz bestimmt von ihr gesehen und wahrgenommen werden. Nicht ihre Mitarbeiterinnen, nur sie, ist die richtige, um die jeweilige ganz besondere Kundin zu bedienen. Es geht um Besonderssein, und als solches ganz besonders gesehen und behandelt zu werden.
Meine Freundin hat dieses Muster auch seit jeher „bedient“; sie kann Anderen das Gefühl geben, besonders zu sein. Leider hat sie auf ihrer Seite bisher zu wenig berücksichtigt, dass auch sie sich selbst so liebe- und respektvoll behandeln darf. Sie ist sich selbst der härteste Chef, erzählt sie mir. Sie behandelt sich ziemlich rücksichtslos und geht über ihre Grenzen. Doch sie weiß es, versucht es zu begreifen und langsam, auch emotional, zu verändern. Sie „zieht“ solche Menschen und derartige Situationen noch an, ist aber dabei, immer mehr für sich einzustehen. 



In einem ärztlichen Wartezimmer greife ich zu einem Hochglanzmagazin. Ich blättere, und was mir da entgegenschlägt, dreht sich um geschürte Konkurrenz, Neid und andere frauenfeindliche Attitüden. Ich bin entsetzt. Ich merke da wieder, dass ich vom Mainstream keine Ahnung habe. Ich bewege mich in meiner individualistischen Psychoökonische, ohne Fernsehprogramme und Frauenzeitschriften. Und freue mich darüber, nicht dazuzugehören. Nicht dazu. Ich gehöre zu etwas Anderem, etwas irgendwie ganz Eigenem. Ich gehöre zu mir. Und zu Menschen, die mich lieben und sich an mir freuen können.

Bei Irvin D. Yalom, in seinem Buch Existentielle Psychotherapie, ist es mir schon mal begegnet: Bei Sterbenden und ihrem Lebensneid, Weiterlebenden gegenüber. Lebensneid. Weil ihnen bewusst wird, was sie alles an Lebenspotential nicht entfaltet haben, was sie sich selbst schuldig geblieben sind; aber anstatt es nochmal im Kleinen anzugehen, verschiebt man das schlechte Gefühl als Schuldigen am eigenen Schicksal lieber auf den Anderen. Man selbst stilisiert sich zum Märtyrer, Opfer gar Diva/Divus. Und wir bedienen ganz liebevoll dieses Muster. Es ist anerkannt.

Lebensneid.
Was ist hier eigentlich los? Meine These ist die, dass die meisten Frauen (auch Männer) nicht wirklich wissen, wer sie in ihrem tiefsten Inneren sind, und was sie wirklich für essentielle Bedürfnisse haben. Sie haben sich ein schickes Leben wie aus einem Hochglanzmagazin kreiert, und versuchen diesem Ideal zu entsprechen. Schuld daran sind unhinterfragte innere Vorstellungen von sich in der Welt. Und zumeist fehlender Leidensdruck. Nur bei Leidensdruck macht man sich auf den Weg. Ohne, läßt man es so, und denkt, es ist die Wahrheit.  

Ich bin davon auch nicht frei.  
Weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Ich kenne Neid und auch Eifersucht. Wenn ich‘s entdecke, bin ich zutiefst beschämt. Ich will dann etwas haben, was der Andere hat, und zwar ohne daran arbeiten zu müssen, heißt, gleich und jetzt. Ist ein bisschen wie magisches Denken unserer Kinderzeit. Und Scham mag ich auch nicht besonders. Dennoch haftet am Neid etwas Sündhaftes und das scheint kollektiv in uns verankert zu sein. Und daher darf das nicht sein. Ein Tabu also. 
 Doch manchmal verleitet mich der Neid, entstanden durch Vergleich mit einem Anderen, auch dazu, über mich hinaus zu wachsen (stimulierender Neid). Ich finde heraus, was ich haben will, und dann ab durch die Angst. Nun, wenn das immer so einfach wäre.   

Ich weiß auch, wie es sich anfühlt, Neidobjekt zu sein. Ein schlimmes, weil bedrohliches Gefühl. Und bei mir hat das leider und immer noch existentiellen Charakter. Wenn ich entdecke, dass man mir Neid entgegenbringt, kann mich das immer noch ziemlich ängstigen und aus den Schuhen hauen (Krank-Werden wegen Kränkung), und sehr einsam werden lassen. Früher habe ich mit Dissoziation darauf reagiert; ich habe versucht, mich unsichtbar sein zu lassen. Doch heute ist das alles keine Lösung mehr. Weder Dissoziation noch Derealisation. Ich bin erwachsen und nicht mehr vier Jahre alt. Zumindest punktuell. Und ich habe zahlreiche Anteile in mir entdecken dürfen, die mir helfen, damit umzugehen. Es müssen nur die richtigen Anteile ins Feld, nicht die Inneren Kinder-Anteile. Und manchmal hole ich mir Profis, die mir helfen, meine blinden Flecke anzusehen, und um die erwachsenen Anteile in mir wachsen zu lassen. 



Was will mir der entgegengebrachte Neid eigentlich über mich sagen? 
Das ist doch mal untersuchungswürdig. Also: Jemand kann mir nicht bei meinen Erzählungen zuhören, kann nicht folgen (oder meidet mich ganz und gar), oder muss zu sich "springen" (und sich selbst dramatisch inszenieren, wie besonders es ist – ich und mein Anteil wird ignoriert oder weg-negiert, je nach Schweregrad). Dann bin ich wieder lang und breit beim Drama und so-Besonderen des Anderen beteiligt. Beim Ewiggleichen, das mir vormacht, es würde sich entwickeln. Doch es kultiviert sich selbst, und will sich durch Spiegelung ewig selbst bestätigen. Nun, das ist menschlich und auch die Norm, und auch im Rahmen der Neurobiologie finde ich solche Selbst-Spiegelneurone, die eigentlich immer nur so bleiben wollen, wie sie sind, weil sie es ja nicht anders kennen. Und Neuland und damit neue neuronale Verschaltungen sind fremd, nicht erkundet und machen Angst. Das Fremde eben. Ich verstehe das. Ich habe auch Angst. Doch auf das Immer-gleiche habe ich schon lange keine Lust mehr. Es ist eben immer-gleich und damit alt-erprobt und auch ziemlich langweilig. So wie mir Modetrends langweilig sind, egal wie gut vermarktet. Das wohl Traurigste an der Sache ist, dass es so wenig Gefühl für den Selbstwert und auch wenig bis keine Selbstliebe gibt. Ich begreife, wie wenig wir mit uns zu tun haben wollen, und wie wichtig Ablenkung von uns ist. Denn eigentlich hassen wir uns, so wie wir sind (oder denken zu sein).

Da wir so früh von zumeist bedürftigen Müttern (und auch Vätern) zu Objekten gemacht worden sind, haben wir, nach Alice Miller (Das Drama des begabten Kindes u.a.), eine Schein-Entwicklung hingelegt, und sind zu einem scheinhaften Als-ob-Selbst geworden. Mir ist das durch meine Erfahrungen mit meiner Depression schon vor zwanzig Jahren aufgefallen, und seit da versuche ich mich zum Subjekt zu machen. Das hieß damals, eigentlich das Rad für mich selbst neu erfinden, oder besser: nach dem Menschen forschen, der ich wirklich in meinem tiefsten Inneren und auch in meinem Äußeren bin. Entweder kläglich eingehen, sich eingehen-lassen, oder das Leben anpacken und auf die Reise gehen – das eigene Abenteuer des Lebens leben. Das Leben als Weg und Entwicklung sehen.  

Ja, der entgegengebrachte Neid sagt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Und auch, dass ich selbst stets da bin (Betonung liegt auf da), auch wenn scheinbar wenige Mitstreiter da sind (obwohl es immer mehr werden). Ich bin ich, und das will weiter erkundet werden. Jeder Andere spiegelt mir meinen Entwicklungsstand und ist mir Spiegel – für schönes Gewordenes und auch weiterhin zu Entwickelndes. Der Andere zeigt mir das, was ich mag, und auch nicht mag, ist aber lediglich ein Stellvertreter. Ich sollte eher diesem Stellvertreter dankbar sein für seinen Liebesdienst, mich auf die Spur zu mir selbst zu bringen. Tendenziell kennen wir den Anderen in seinem besonderen Sein gar nicht, zumeist, weil er es selber nicht weiß. 

Ich wünsche uns Allen mehr Freude, Neugierde und Mut beim Erkunden des Eigenen, der vielen unterschiedlichen Anteile in uns selbst. Und dann und immer mehr beim Erkunden des Anderen und seinen Eigenarten im Miteinander. Weil der Andere anders, und genau das so wundervoll ist. Und wir dieses Wunder in Jedem entdecken können. In wirklich Jedem. Auch wenn es sich erstmal seltsam anfühlen mag, wartet doch stets ein Riesengeschenk auf uns. 

Das Geschenk der Liebe zu uns und zum Anderen

Und dann wachsen wir wirklich über uns hinaus, und zwar gemeinsam!

GG 
auf dem Weg 
zur Liebe 







Zum Weiterlesen - Gefühle

* Virani, Amana (Vivian Dittmar): Gefühle - eine Gebrauchsanweisung, München 2007
* Baer, Udo/ Frick-Baer, Gabriele: Das große Buch der Gefühle, Weinheim 2014 
* Baer, Udo/ Frick-Baer, Gabriele: Das ABC der Gefühle , Weinheim 2012 

Bilder/ Collagen: Die Welt der Lumi Divine  


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