Samstag, 3. Dezember 2016

Aschenbrödel und das Meer | Die Wandlung zum Unendlichen hin


Aschenbrödel und das Meer | Die Wandlung zum Unendlichen hin



Kunst(therapie) & Palliative Care


"My soul wandered, happy, sad, unending." 

- Pablo Neruda



Neulich hatte ich das Glück, einem wunderbaren Menschen zu begegnen. Einem Menschen, der sich über meine mitgebrachten Inspirationen freute. Ich dachte mir nicht allzuviel dabei, lediglich, ob das Bild, das ich ausgesucht habe, Freude bringen könnte.

Ich hatte die Collage "shoe in the ocean - Aschenbrödel und das Meer" ausgesucht. Entstanden aus einer Melancholie heraus, einer Sehnsucht, die nicht gestillt werden konnte. Ich legte meine ganze Traurigkeit da rein. Aber auch meine schönen Inneren Bilder - von schillernden Märchenwelten.

Sie liebte es sofort.
Sie sah darin sich selbst, ihre Geschichte des kleinen Mädchens, an deren Arm gezerrt wurde.
Sie sah den Puppenarm, der ihrer Lieblingspuppe abfiel. Keiner konnte helfen, ihn wieder anzubringen. Dann verschwand er. Sie wurde in eine Pflegefamilie gegeben.
Hier tauchte er aus der Vergessenheit wieder auf, der geliebte Puppenarm.
Er war zu einem Teil des Aschenputtel-Schuhs geworden, der im Meer versunken war.
Sie wollte es sofort haben, fragte mich, ob ich es ihr überlassen würde. Ja, sagte ich.

Das nächste Mal, als ich sie besuchte, fragte sie mich, ob ich den Raum "öffnen" könne. Er wäre zu klein geworden, sie brauche die Idee der Unendlichkeit, der Öffnung zum Universum hin. Das Rund schränke sie ein, erinnere sie zu stark an eine Mutter, die keine war.
Ich erinnere mich, dass ich bei dem Gedanken an Unendlichkeit schluckte und mir heiß wurde.

Zuhause öffnete ich den Raum.
Ich ließ es geschehen, weil ich mit Denken und Konstruieren nicht weiterkam.
Immer wieder überkam mich Angst und Sorge, und ich fühlte mich überfordert.
Dennoch: ich öffnete den Raum.
Die ursprüngliche Collage blieb, ich baute einen Raum, um sie herum. Aus Insignien Karls des Großen, Fischen, Schmetterlingen, Gold, Neonrot und goldenen kleinen Sternen. Unter der Schuh-Collage befand sich nun ein wirklich unendlicher Raum - nur sichtbar für Menschen, die auch darunter blicken können.

Ich übergab es ihr.
Sie war gerührt. Ich auch, neben meinem Aufgeregtsein.
Ein schöner Moment - sie wollte es ihrer Lieblingsnichte vermachen.

Danke, lieber Mensch, dass ich an der Idee der Unendlichkeit teilhaben durfte.

Sie starb eine Woche später. 

Ursprünglicher Titel: shoe in the ocean (Aschenbrödel und das Meer; 16.05.2016)
Auf Wunsch wurde der Raum des Bildes erweitert -
Erweiterter Titel: my soul wandered ... (nach Pablo Neruda, 24/25.05.2016)







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+++ Von Fischen +++ by Gunilla Göttlicher

Fische schwimmen im Wasser hin und her wenn ein Angelhaken kommt denken sie ersteinmal über dessen tieferen Sinn nach Erinnerung an Finnland, 2009