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Palliative Care - Teil 4 | Kunsttherapie - Doku einer Famulantin
Ich hatte das große Glück, für vier Wochen eine wunderbare Assistentin auf unserer Palliativstation gehabt zu haben - eine Studentin der Humanmedizin (Famulatur).
Sie begleitete mich in zahlreichen kunsttherapeutischen Settings und war mir und den PatientInnen eine wertvolle Begleitung und Unterstützung.
Ich bat sie, ein ganz besonderes Setting und den einzigartigen Prozess mit einer sehr inspirierenden Patientin in ihren Worten zu beschreiben.
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Die Patientin äußerte die Idee, mit eigens im Klinikumsumfeld gesammelten Naturmaterialien arbeiten zu wollen. Mir fiel dazu gleich die Künstlerin Rebecca Horn ein, die in ihren "bodylandscapes/ Körperlandschaften" lebensgroß auf Papier mit einem dickflüssigen Rotwein malte.
Als untermalenden Klang des Settings wählte ich die herrlich fließende Musik mit Sopran, Oberton- und Walgesang, die der Komponist Hayden Chisholm eigens für die Installationen von Rebecca Horn komponierte ("In the belly of the whale").
Gewählte Materialien: Leinwand, Acrylfarbe, Tusche, Holzleim, Naturmaterialien, Wein/rot, Rote Beete-Saft etc.
Als krönenden Abschluß dieses inspirierenden Settings gestaltete die Famulantin liebevoll ein Fach in der Glasvitrine auf Station. Dies konnte möglich werden, da die Patientin ihr Bild der Kunsttherapie-Sammlung der Station vermachte.
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F.G.
| 7.3.2013
(Mit freundlicher Genehmigung der Nutzung des Textes von Autorin F.G.)
„Gunilla
hatte mit Frau A. ein ganz besonderes Projekt geplant „Malen mit
Wein & rote Beete“. [Wein = Shiraz – Lieblingswein von der
Patientin, wie sich später herausstellte]. Frau A. freute sich sehr
auf die Kunsttherapie und ich durfte sogar an der Kunsttherapie
teilnehmen. Da saßen wir nun am kleinen Tisch im Patientenzimmer –
Fr. A. und ich in bunten Schürzen, Gunilla farbenfroh gekleidet wie
immer.
Wir
hörten Musik – ein wenig traurige Musik, aber doch eher ruhig und
zur Kunst passend – eine Musik, bei der man sich eben voll und ganz
Farben, Pinseln, dem noch weißen Papier [Leinwand Anm. G.G.] widmen konnte.
Fr.
A. zeigte uns ihre gesammelten Dinge aus der Natur, die in die
Malerei mit Wein und Rote Beete unbedingt mit einfließen sollten.
Sie strahlte, als sie verwelkte und nur noch aus dem Gerüst
bestehende Blätter aus der Tüte hervorzog. Die Blätter sahen so
zerbrechlich aus und so … trist. Nacheinander legte sie einen
Krokus, ein Schneckenhaus, Birkenstammteile und vieles mehr auf den
Tisch und strahlte/ lächelte über ihre eigenen Entdeckungen +
Sammlungen. Fr. A. hatte so großartige Augen – sie hatte so blaue
Augen, dass man sich in ihnen verlieren konnte, wenn man wollte.
So
fingen wir langsam an zu malen. Fr. A. traute sich zuerst nicht,
selbst ans Werk zu gehen und so begann Gunilla. Fr. A. unterstützte
sie bei der Wahl der Naturutensilien und der Verlaufsrichtung des
Weins, den wir mit einer Pipette auf die Leinwand brachten. Es
entstand ein Bild, auf dem ein Pegasus zu erkennen war, gehalten und
aufgefangen auf einem Blatt. Fr. A. war fasziniert von diesem Bild
und freute sich sehr. Nebenbei gab es immer auch einen Schluck Wein,
den sie sehr genoss und Gunilla und ich natürlich auch:)
Nachdem
wir drei Gunillas Bild eine ganze Weile betrachtet hatten und man
sah, wie die Farbe des Weins sich veränderte, begann nun auch Fr. A. Sie
legte ihre Naturutensilien (Birke, Stein) sehr konzentriert auf die
Leinwand und legte es immer wieder an eine andere Stelle auf der
Leinwand. Ihre ganzen Bewegungen waren sehr zaghaft – immer wieder sollten Gunilla und ich unsere Meinung dazu sagen. Nach ein
paar Minuten hatte sie das Stück Birke und den Schieferstein
platziert. Nun griff sie zur Roten Beete. Mit der Pipette tropfte sie
ganz zaghaft und konzentriert ein paar Tropfen Rote Beete-Saft auf
die Leinwand. Die rote Farbe war sehr kräftig – Fr. A. wischte es
von der Leinwand, sie wollte es eher etwas blasser haben und nicht so
intensiv.
So entstand ein Bild, welches sehr eindrucksvoll war –
dieses Bild stellte ihre Krankheit dar. Man konnte eine
Bauchhauptschlagader erkennen, links und rechts von dieser die Nieren
und links unten im Bild war ja dieses kleine Birkenstück, welches
den Tumor in ihrem linken Bauchbereich darstellte [aus meiner Sicht].
Ich war fasziniert, aber auch geschockt, dass Fr. A. ihre eigene
Krankheit auf eine Leinwand gebracht hatte – wissentlich oder
unwissentlich – das vermag ich nicht zu sagen. Sie freute sich über
ihr geschaffenes Kunstwerk, war aber auch gleichzeitig traurig über
den ganzen Verlauf ihrer Krankheit und ihre aktuelle Lebenssituation
– wie verständlich. Ich dachte – o.k., nachdem wir nun gemalt
haben und unsere Werke bestaunt und interpretiert hatten, würden
Gunilla und ich nun wohl weiterziehen zu einem anderen Patienten. So
räumten wir also die Malutensilien zusammen, verteilten noch die
letzten Tropfen des edlen Rotweins auf die drei Gläser und lauschten
den letzten Klängen der Musik.
Da
fing Fr. A. auf einmal an von ihrer Familie zu erzählen: Dem Vater –
ein Chirurg im 2. Weltkrieg, der nicht nur den deutschen Soldaten
half, sondern in der Nacht auch zu den Russen ging (dies galt als
Hochverrat), um medizinisch zu Hilfe zu eilen. Er ließ sich sogar
von einer Krankenschwester russische Märchen erzählen.
Ihre
Mutter war Psychiaterin – eine Frau, die viel Zeit für ihre
Patienten opferte. Alles in allem sehr strebsame Persönlichkeiten,
die jedoch wenig Zeit für ihre Tochter hatten.
… und dann neigte sich die Kunsttherapie dem Ende zu.
Es war eine
unglaublich tolle Erfahrung, die Patientin aus einer anderen, eher
emotionalen Sichtweise zu sehen. Frau A. war so selbstbewusst, aber
beim Malen dann doch so zaghaft und zurückhaltend. Ich bin mir
sicher, sie konnte ganz viel aus diesem Treffen mitnehmen und hoffe,
ihr geht es gut.
Sie hat ein Buch geschrieben, eine Erzählung über die Reise dieser Patientin durch den
Sudan. Als ich dies hörte, musste ich mir einfach dieses Buch
bestellen – seither liegt es in meinem Rucksack und wird überall
mit hin getragen, um ein paar Zeilen zu lesen, egal wo ich bin!!“
+++
wie es weiterging...
Am 11.04.2013 besuchte uns die Patientin spontan und zu unserer aller Freude auf Station. Ich gab ihr den Text der Famulantin F.G. zu lesen, dann sagte sie mir, ich solle folgende Zeilen von ihr hier noch hinzufügen:
"Aber die Musik war doch gar nicht traurig, für mich war sie Geborgenheit, Ausatmen, Friede, Hingabe, ja, Hingabe..." [Fr. A.]
Weitere Korrespondenz...
"...das war ja eine überrraschung , Deine Post ! Und der gelungene Ausschnitt
von meinem bild. Der Ausschnit gefällt mir viel viel besser!!!!!! ein
bißchen so hatte ich es mir vorgestellt.---- es war schön Dich auf der
Palli zu sehen und danke , dass Du Dir Zeit genommen hast.!!!!!!!!!!es
hat mich ganzs schön berührt. Und Du hast mir ein neues Wort geschenckt,
statt sterben auflösung. das hört sich viel besser an für mich hat
einen anderen Sinn, wirkt nicht so ängstigend. ich habe wieder einen
darmvershluss, deshalb werden diese worte nun sehr konkret. sei umarmt
und DANKE" [Fr. A./ Mail | 29.04.2013]
"...das ist ja toll, dass Du soviel über Auflösung gemacht, gemalt, gedacht
hast.---- Ich behalte Deine mail gegen meine angst /oder für die angst.
Auflösung ist wirklich schön !!!!!!! Ja ich hätte gern die CD mit der
Musik, sie wird mich an die Stunde mt dir erinnern. Ich wünsche Dir auch
Sonne und Mond und viele Röcke!!!! Die passen so gut zusammen. Sei
umarmt" [Fr. A./ Mail | 02.05.2013]
Ich schickte ihr die CD...und fragte nochmal nach, ob sie sie erhalten hätte - das war am 02.05 und auch am 04.05. 2013 ... ich bin mir sicher, sie hat sie noch bekommen und gehört...
- wie ich kürzlich erfahren habe,
ist Fr. A. - meine liebe G. - am 21. Mai 2013 von dieser Welt gegangen und hat sich in die Auflösung begeben. Sie wird mir lebhaft
und lebendig in Herz&Gedächtnis bleiben!
Ihr Buch wird von mir bei jeder passenden Gelegenheit - und erst neulich wieder bei einer Patientin - gezückt und eine Passage daraus vorgelesen...
Link zu Rebecca Horns Werken, untermalt mit der Musik von Hayden Chisholm
(Retrospektive im Martin-Gropius-Bau, Berlin 2006/7, u.a. mit In the belly of the whale)
Rebecca Horn & Hayden Chisholm
Impressionen
*Mein besonderer Dank geht an die Patientin Fr. A. und an die Famulantin F.G. für ihr Dasein und Mitmachen, für die wertvolle Beschreibung eines einzigartigen Settings, Photos uvm.*
Photos: F.A. & me