Dienstag, 15. August 2017

Klangtherapie | Die Körpertambura


Klangtherapie | Die Körpertambura

Über meine Erfahrungen mit der Körpertambura
im Rahmen von Palliative Care & Allgemeinmedizin
+ Ein Forschungsprojekt +



+++ Postbaustelle +++ hier wird noch gedacht und geforscht! +++ Postbaustelle +++ 

Seit meinem Beginn im Jahre 2010, Kunsttherapie im Rahmen von Palliative Care anzubieten, erforsche ich neben der Bildenden Kunst auch die Darstellenden Künste - v.a. den Performanceaspekt und den Klang. Von diesem soll hier die Rede sein. Die Namen habe ich geändert. 

Gesang und Stimme gehören schon lange zu meinem Repertoire, den Anderen anzusprechen und zu begleiten. In diesem Blogpost möchte ich darüber schreiben (versuchen), welche Erfahrungen ich mit der Körpertambura (KT) sammeln darf.

Mein Erfahrungsfeld umfasst eine Fachklinik (Lungenheilkunde) und ein Akutkrankenhaus.


Alles begann mit Marie 

Marie war ein wirkliches Wunderwerk: Sie schien, als eine der ganz wenigen Menschen mit einem sehr gemein verlaufenden Lunkenkrebs, diesen tatsächlich überleben zu wollen. Sie war zwischenzeitlich sogar schon in einem Hospiz gewesen, aus dem sie wie "geflohen" ist. Sie wollte wieder zuhause von ihrem Mann betreut werden - das war ihr alles nicht geheuer. Ich wusste nur von dem Hospizaufenthalt, und war mehr als verwundert, als mir Marie auf dem Flur im KH mit dem Rollstuhl entgegenkam; ich hätte sie fast nicht erkannt, und ich muss gestehen, dass ich meinen Augen nicht traute, als ich sie dann doch wiedererkannte: ihr Gesicht war aufgedunsen vom Cortison, ihre Haare in üppig struppiger Fülle nachgewachsen, und sie war unglaublich traurig über ihr Dasein, so wie es sich zeigte. Und sie war so wütend. Über alles und jeden und v.a. über ihr Leben. Am liebsten hätte sie nochmal von A angefangen.
Ich kam genau in diesem wütenden Moment. Dort konnte sie mir auch endlich sagen, wie wütend sie auf mich war, als ich vor ca. einem Jahr, so munter auf sie zutrat, und in der Mobilitätsbegleitung (in Koop. mit der Physiotherapie) nicht sie in ihrer labilen Befindlichkeit sah, wie sehr sie litt und unglücklich war. Ein Jahr hatte sie damit gewartet, hatte nicht den Mut - jetzt konnte sie es mir sagen und ich war froh darüber. Und sie auch.
Ich bot ihr das Spiel mit der KT an. Sie willigte ein und genoss. Ich spielte das erste Mal sehr sanft, weil ich noch nicht geübt war und auch ihre Unleidlichkeit nicht herausfordern wollte. Ihr innerer Kobold, der ihr stetiger Begleiter während der Krankheit war, kehrte wieder zurück. Er war lange verschwunden. Nun war er wieder da, und ihr kam das Bild, wie ich es ihr damals eines zur besseren Veranschaulichung im Netz gefunden und ausgedruckt hatte. Ein Kobold auf einem Stein an einem Hang, mit Schildkröte und einem anderen Koboldfreund.
Beim nächsten Mal traute ich mich schon etwas mehr, spielte leicht intensiver; doch sie bat freundlich und klar, dass ich doch sanfter spielen möge. Ui, war mir das unangenehm, musste ich mir doch meine Unerfahrenheit eingestehen; das Spiel erfordert Übung. Dennoch fand sie wieder hinein in ihre Waldlandschaften mit ihrem Kobold, der recht zufrieden schien.

Das Spiel mündete bei Marie in sie entspannende innere Bilderlandschaften mit Fabelwesen, die sie allesamt zu beruhigen wussten. Ein innerer Freund - der Kobold, vielleicht ihre Intuition (Ausdruck für: verläßliches Bauchgefühl; Vertrauen in sich selbst etc.), kehrte wieder zurück. Und in den Momenten mit der KT war einfach mal so einiges gut, auch wenn das Resümmierte und Insgesamte so manchesmal nicht so geglückt ausfiel.



Herr Müller schläft selig
Käppi auf, Bett hochgestellt - Beam me up, Gunny!
Herrn Müller erzählte man von der Möglichkeit, sich auch durch den Klang eines Instrumentes entspannen zu können. Er liebte Entspannt-Werden, sozusagen einfach Nichts-Tun-Müssen, einfach sich dem Moment hingeben und dann mal-sehen. Er litt unter einem bösartigen Lungentumor und hatte eine offene bzw. auch schwer zuheilende Wunde am Thorax. Ich habe ihn eigentlich nicht wirklich in dem Sinne persönlich kennengelernt. Seine Frau war manchmal mit beim Spiel dabei - sie war dann da und durfte miterleben, dass ihr Mann einfach einschläft und sich leicht tiefenentspannt.
Unser Ritual war folgendermaßen: Ich klopfte sanft an, begrüßte ihn und fragte, ob er wieder eine Klangentspannung haben wolle. Er sagte dann und eigentlich immer ja, und machte sich dann bereit - das umfasste das Bett selbständig hochfahren, sich bequem hinlegen, sein schwarzes Käppi auf, das wir manches Mal nochmal suchen mussten, dann schloss er wohl die Augen. Ich spielte und er schlief ein, wie bei einer guten beruhigenden Gutenachtgeschichte. Ich schlich mich dann leise aus dem Zimmer und werde leider nie mehr erfahren, wie es für ihn war und was in ihm vorging. Aber er war zufrieden mit der Wirkung, schnell und sanft in den Schlag gespielt zu werden.  



Erfahrungen so vielfältig wie Kulturen
Manche reagieren auch mal ganz anders -

ja, so Seiten, die schwingen... - Herr Schulz
Ich kann mich an einen Patienten erinnern, der mich auch sehr "herausforderte". Er wollte nicht wahrhaben, wie krank er war, so stellte er auf einen Standby-Modus, ein stillgestelltes Bild seines Seins, eine Art Totstellreflex, um den Moment "auszusitzen", und irgendwie in der Hoffnung, dass das alles sowieso nur ein böser Traum wäre (und wenn er aufwache, gesund und munter sei). In manchen Momenten, als ich ihn zum ersten Mal sah, war er ziemlich durch den Wind. Nicht wirklich im Hier und Jetzt und recht fixiert auf den Fernseher. Ich hatte in der Palliativteamsitzung den Auftrag bekommen, mit ihm seine mentalen Fähigkeiten durch emotional-besetzte Bilderarbeit zu stärken. Die Situation, die sich mir bot, war - ein Mann schaut wie gebannt auf einen Fernseher, in dem ein Aufklärungsfilm der Lungenklinik in Schleife läuft. Ich schaute längere Zeit mit, erkundete die besondere Wirkung, und ließ mir erklären, was für ihn dort vor sich ging. Das Geschehen im Fernsehen beruhigte ihn tief, die immer gleichen Gesichter mit weißen Kitteln, die beruhigend von Therapiemöglichkeiten erzählen. Und er verwob sich und einen Freund mit ein, in dem er mir erzählte, die TV-Kabel hätten er und sein Kompagnon verlegt. Kein Sedativum oder Entspannungsmethode konnte das so erreichen, wie dieser Auklärungsfilm und später RTL2 mit den SoupOperas der Unschönen und Reichen. Er klarte auf. Wir waren dann auch mal im Rollstuhl draußen. Ich erzählte ihm von der KT und er sagte kurzerhand "Her damit". Ich versuchte nochwas von "Meditation" und "Augen schließen" zu sagen, doch das kam nicht wirklich bei ihm an. Ich spielte, er behielt die Augen offen. Dann sagte er nur "Ja, Seiten klingen, mehr nicht - keine Melodie". Hm, dachte ich und nahm Rosinante heiter zurück in ihre Tragetasche. Diese beiden konnten leider keine Freundschaft schließen - der Fernseher und seine sedierende Wirkung hatte hier gewonnen.     


sofort verändert sich das Körpergeschehen in der Brust/Herzgegend (zu sensibel für Klang) - Frau Hoening
Im Akutkrankenhaus hatte ich das Vergnügen Frau Hoening kennenzulernen. Ich war bei den physiotherapeutischen Übungen (Koop. mit Physiotherapie: Mobilitätsbegleitung) mit dabei, wir redeten dabei über feine Handcremen und Düfte. Auch die Zimmernachbarin gleichen Alters, beides feinere Damen, passten gut zueinander - ein fein duftendes sehr freundliches Zimmer.
Ich blieb nach der Physiotherapie noch ein wenig und erzählte von meiner KT. Frau H. gab zu Bedenken, dass ihre Gynäkologin ihr Klangschalentherapie anempfohlen hatte und auch selber welche durchführte. Die Klänge berührten sie buchstäblich und auch gleich zu stark, drangen in den Körper ein und brachten das mühsam aufrechterhaltene Gleichgewicht ins Wanken. Es gab also schon damals eine direkte Körperreaktion - ein Verschieben, hoch- oder Runterrutschen von diversen Körperempfindungen.
Die Zimmernachbarin wollte sie mal sehen und kurz erleben und auch die Patientin willigte ein. Ich brachte sie, legte sie nur kurz neben die Patientin auf das Bett (sie berührte sie nicht). Ich spielte, des Klanges wegen, mal einen Strich mit rechts und links einmal. Und schon bewirkte der Strich ein Herrunterrutschen der Schmerzempfindung in ihrem Brustraum/ Herzgegend. Es war ok für sie, sie konnte es benennen und wusste auch, was sie zu ihrer "Beruhigung" wieder tun könne (ruhig liegen, atmen, an Natur denken, ihre Beruhigungspille nehmen etc.)
Ich fühlte mich zuerst "schuldig", hatte ich doch solch' eine Reaktion noch nicht erlebt. Da ich mich allerdings als eine Erforscherin des Instrumentes und seiner Wirkung vorgestellt hatte, verbuchten wir beide das Phänomen als bereichernd; denn nur so, konnte ich diese Wirkung auf sie kennenlernen, und sie konnte mir genauer benennen, was in ihr vorging.

Die russische Forscherin, oder das Instrument hat zu wenig Obertöne -
Eine Anregung an den Instrumentenbauer 




Mit Dorothea von Erde eine Ahnung vom Göttlichen bekommen
Laufender Prozess

1. wunderschön - Schwere und Leichtigkeit
Vom Korsett, das wieder alles zusammenhält und einem Engel, der das Herz berührt
2. Schwimmen in der Karibik und durch eine Geburtskanal-ähnliche Öffnung hin zu den Spähren
3. Von den Galapagosinseln und den kleinen Seehunden und der Umarmung durch einen Karpokbaum (Bilder: Galapagosinsel/ Seehunde, Karpokbaum)
4. Von etwas so unsagbar Schönen, für das noch keine Worte vorhanden sind - In der Tiefe des Meeres, auf der Suche (umgeben von liebevollen Fischen, auch Haien)
5. Im tiefen Dschungel -  eine Wiese. Hohes Gras, in ihr eine tanzende Elfe, die sagt: "Komm' mit!"
6. Der Abschied von den geliebten Katzen: Im Gras mit den Katzen herumspringen
7. Winterstimmung draußen - Katzen kuscheln und beruhigen innen und die weiße, wärmende, liebevolle Decke, die engelgleich umhüllt (Anregung: Die Bilder wieder aufzuhängen und Wunsch für ein weiteres "Elfenwald" - Ich dabei als Elfe)

Dorothea von Erde wird mir durch die Seelsorgerin im Akutkrankenhaus ans Herz gelegt. Eine ältere Dame, die bereits eine beträchtliche Anzahl an Aufenthaltstagen und entsprechend Krankheiten mitsamt Symptomen, OPs (mitsamt Wundheilungsstörung) und vielerlei mehr Leidensgeschichte vorzuweisen hat. Ihre Krankenakte liest sich fast abenteuerlich, eine echte Odyssee, die mir wieder zeigt, wozu Mensch an Aus- und Durchhalten fähig ist. Ich lerne sie auf der Wachstation kennen; sie hat wieder eine OP hinter sich und ist keimisoliert. Ich darf mich zart grün mit Mundschutz & Co. verkleiden. Anhand meiner ersten Worte und ihrem Echo auf mein Gegenüber kann ich bereits darauf schließen, was für eine besondere Resonanz es gibt; sie ist außerordentlich humorvoll - ich komme gleich mit ihr ins Scheckern, was uns beiden gut tut und gefällt. Ich habe beim ersten Mal nur mich dabei, spreche aber schon von meiner charmanten Begleiterin, der Körpertambura, die ich mittlerweile Rosinante nenne (das Pferd von Don Quijote). Sie erzählt mir von ihrer für sie herrlichen Erfahrung in einem Schwimmbad, in dem ein Didgeridoospieler die Badenden bespielte.

Beim nächsten Mal ist sie nun dabei; sie ist gleich in Rosinante verliebt; das ist spürbar - ich spiele, und Dorothea geht tief hinein in den Klang. Was sich zeigt ist einfach erstaunlich: Ihre Reaktion ist pure Rührung; sie weint. Ihre asiatische Freundin, die sich rührend um sie bemüht, wittert fast, dass es ihr nicht gut tun könne, weil sie ja weinen würde. Ich lasse es offen und verweise nur auf die persönliche Erfahrungswelt von Dorothea mitsamt postitiver Bewertung für ihren Zustand. Auf mein Nachfragen hin, beschrieb sie mir, dass sie sich das erste Mal seit Langem wieder ganz fühlen würde, sanft umgürtet von einem feinen Korsett. Sie wählte als erstes das Wort "wunderschön", und wiederholt es ein paarmal; auch fallen Worte von "schöner Schwere" und auch "Leichtigkeit". Dann erzählt sie weiter, in ihrem tiefen Inneren, im Herzen, eine Berührung wie von einem Engel. Sie ist voller Freude. Ich solle unbedingt wiederkommen und fühle mich eingeladen.


Unser nächstes Mal gestalte ich mit zweimal Spielen - ich lege erst oben an, dann nochmal unten. Dazwischen eine Erzähl- und Atempause. Sie ist allein im Zimmer, immer noch auf der Wachstation - ich verkleide mich wieder. Ich bekomme mit, wie sich der Konsilpsychiater um sie bemüht, und ihre Ressourcen benennt, wie auch Möglichkeiten aufzeigt, wie sie die Zeit für sich gestalten könne.
Dann bin wieder ich dran und werde nahezu schon sehnsüchtig erwartet; ihr Bruder kommt etwas später dazu. Wir laden ihn zum Klangerlebnis ein.
Sie schließt wieder die Augen und ich wünsche ihr gute Reise. Sie reist zu den Galapagosinseln
...
































+++ Von Fischen +++ by Gunilla Göttlicher

Fische schwimmen im Wasser hin und her wenn ein Angelhaken kommt denken sie ersteinmal über dessen tieferen Sinn nach Erinnerung an Finnland, 2009